» Interview mit Tamara Grübler –
Marie-Curie-Gymnasium Brandenburg «
Liebe Frau Grübler,
vielen Dank für die Möglichkeit, dass Sie uns heute Einblicke in Ihr MINT-Schulprojekt am Rande des Weltalls geben! An welcher Schule sind Sie tätig und welche Fächer unterrichten Sie?
Ich bin am Marie-Curie-Gymnasium in Hohen Neuendorf im Land Brandenburg nördlich von Berlin tätig und unterrichte die Fächer Mathematik und Physik.
Warum haben Sie sich für ein Stratosphärenflug entschieden und wie passt dieses Projekt in Ihren Unterricht?
In der Coronazeit bin ich auf die Lehrerfortbildung zum Stratosphärenflug aufmerksam geworden und da ich auch im Förderverein der Schule im Vorstand tätig bin, habe ich dort erstmalig über das Projekt berichtet und dass es eben auch nicht ganz billig ist und ich auch ganz ehrlich gesagt zu diesem Zeitpunkt keine Idee hatte, wohin die Reise geht. Der Vorstand war aber so begeistert, so dass ich da meine erste Rückendeckung hatte und dann gedacht habe, dass ich das einmal ausprobieren möchte.
Wie haben Ihre Schüler*innen, Kolleg*innen sowie die Schulleitung reagiert, als diese von Ihrer Idee erfuhren, eine eigene Forschungsmission an den Rand des Weltalls zu starten?
Im Rahmen des normalen Unterrichts passt ein solches Projekt bei uns zeitlich nicht hinein und so kam ich auf die Idee einen Physik Wahlpflichtkurs für die Klasse 9/10 anzubieten und dies mit einer zweiten Leidenschaft zu koppeln, wie man gute Vorträge im naturwissenschaftlichen Unterricht hält. Und so war die Idee geboren, die Mission mit einem Filmprojekt zu begleiten, so dass alle Teilnehmenden am Ende einen Film sowohl über die besprochenen Inhalte als auch die Mission und ihre Ergebnisse in ihren Händen halten. Ich habe dies bei der Vorstellungsrunde für die 8. Klassen präsentiert und 22 Schüler:innen haben sich für diesen Kurs angemeldet und auch von Seiten der Schulleitung war Interesse/ Begeisterung vorhanden.
Wie haben Sie sich vorbereitet? Wie haben Sie die Schüler*innen auf das Projekt vorbereitet und die gesamte Projektvorbereitung strukturiert?
- Ich habe sehr stark auf die Unterrichtsvorbereitung von Stratoflights zurückgegriffen und stärker mathematisiert z. B. die Luftdruckkurve mit der Barometrischen Höhenformel hinterlegt.
- Projekteinführung mit vorgegebenem Material
- Atmosphäre mit vorgegebenem Material
- Auftrieb in Flüssigkeiten und Gasen (Definition, Festigung mit Materialien von Sofatutor zur selbstständigen Bearbeitung, Nutzung auch der Größe Dichte, Fallunterscheidung von Schwimmen, Schweben, Sinken, Steigen; experimentelle Untersuchung zu Auftrieb in Flüssigkeiten)
- Luftdruck (Definition und Eigenschaften, Festigung mit Materialien von Sofatutor, Bau eines eigenen Barometers und Nutzung der barometrischen Höhenformel)
Ozonschicht und Treibhauseffekt - Ermittlung der maximalen Sichtweite mit vorgegebenem Material
- Einteilung und Arbeit in Gruppen für den Flug (Experiment, Flugvorhersage, Umgang mit dem Datenlogger, Wiederfinden mit GPS und Satellit, Heliumrechner, Flaschendruckminderung, Checkliste, Konstruktion der Sonde, Umgang mit den Kameras, Filmteam)
Berichten Sie uns vom Starttag: Hat die Vorbereitung am Starttag sowie der Start, Flug und die Ortung und Bergung direkt geklappt, oder gab es Schwierigkeiten die spontan gelöst werden mussten?
Es ging schief, was schief gehen konnte. Erst fiel die Telekomkarte aus, wir mussten fix eine neue erwerben und anmelden, was das erste Mal Zeit gekostet hat. Dann hat Gruppe 1 den Ballon gefüllt, während Gruppe 2 die Sonde bestückt hat und spontan beide Kameras nicht mit dem Batterypack arbeiten wollten. Die Verantwortlichen hatten die Funktionsweise irgendwie als gegeben hingenommen und nicht nochmal am Tag x geprüft und nun hatte ich persönlich so gar keine Idee und war sauer auf mich selbst, denn der ganze Aufwand ohne Kameras, das war nichts für meine Vorstellung. Zum Glück hatte ein Kollege eine Powerbank dabei, die wir dann gegen ein Batterypack ausgetauscht und die zweite Kamera mit dem normalen Kameraakku versehen haben. Die Mädchen haben klug entschieden und die Akkukamera mit dem weiten Blick versehen und die Kamera mit der Powerbank auf das Experiment mit den Reagenzbehältern gerichtet. Das hat dazu geführt, dass die Sonde dann schwerer war als vorher ermittelt, der Ballon war aber schon gefüllt und verschlossen. Also hatte unsere Sonde am Ende dann eine Differenz von 14 km zur vorausberechneten Flugroute und sie hat sich entschieden hoch oben, unerreichbar in einem Baum zu landen…. Zum Glück habe ich mich erinnert, dass ein Elternteil eines ehemaligen Schülers Industriekletterer ist. Spannend war für mich, mit welcher Energie die Schüler:innen, die die Sonde gestartet haben und auch gesucht haben, das Projekt durchgeführt haben. Ich habe mich am Tag x wirklich auf sie verlassen, was auch vorher angekündigt war, aber eben dann doch für Aufregung bei mir gesorgt hat. Aber egal, ich würde es wieder so tun. Beim nächsten Mal ist mein Handlungsspielraum größer auf Grund der gemachten Erfahrung.
Konnten die Schüler*innen ihre Hypothesen bzgl. der gemachten Experimente bestätigen? Zu welchen Ergebnissen sind Ihre Schüler*innen gelangt?
Leider konnte ich die Ergebnisse noch nicht mit allen Schüler:innen auswerten (Klassenfahrten am Ende des Schuljahres…) aber am interessanntesten ist die Abhängigkeit der Temperatur von der Höhe. Die Temperatur sinkt am Anfang mit steigender Höhe allerdings nur auf ca. – 40°C. Wir haben da weniger erwartet. Und dann steigt die Temperatur bis in 39 km Höhe wieder auf über 10 °C an. Wir hätten erwartet, dass die Temperaturzunahme bis ca. 0°C geht, aber bis deutlich über 0°C …?
Und unser Experiment zum Nachweis des Vorhandenseins von Ozon hat wunderbar geklappt. Die Kamera hat den Farbwechsel in den Reagenzbehältern wunderbar eingefangen. Leider ist mit dem Platzen des Ballons das Experiment weggebrochen. Der Balsaholzträger war entweder nicht gut genug befestigt oder einfach zu schwach, um den Ruck auszuhalten. Hier würde ich mir für das nächste Mal eine Anbauanleitung an die Sonde wünsche, so wie sie für das gesamte andere Equipment ja in den Videos bzw. im Handbuch vorlag. Vielleicht ist mein Handbuch ja auch schon zu alt, denn ich habe es ca. vor zwei bis drei Jahren erworben.
Erzählen Sie uns von dem Gefühl die Sonde mit den Videoaufnahmen und Experimenten wiedergefunden zu haben und wie haben die Schüler*innen bei den spektakulären Videos reagiert?
Ich habe das Privileg gehabt, die Aufnahmen als erste zu sehen, da ich die Sonde nach meiner Klassenfahrt, die gleich am Tag nach dem Start der Sonde begann, abholen konnte.
Wegen des ungünstigen Termins konnten noch nicht alle die Bilder gemeinsam sehen, aber sie liegen für alle Teilnehmenden frei auf einem Server. Das Staunen werde ich wohl erst nach den Ferien erleben. Ich persönlich war ganz schön angegriffen, denn es sind wunderbare Bilder entstanden, auch den geplatzten Ballon haben wir aufnehmen können. Auf alle Fälle ist die Schulleitung sehr begeistert und die Schüler.innen werden es auch sein, wenn ich sie wieder sehen werde zumal wir Felix Baumgartner an Höhe übertrumpfen konnten…
Wie hilft das Stratosphärenprojekt Ihrer Meinung nach dabei, um junge Leute für naturwissenschaftliche Studiengänge und Ausbildungsplätze zu begeistern?
In unserem Fall kann ich nur sagen, dass wir jedes Jahr Schwierigkeiten haben, einen Physik-Leistungskurs in der Sekundarstufe II zusammenzubekommen. Es müssten leider 15 Teilnehmende Interesse haben, was in den letzten Jahren gelegentlich problematisch war. In diesem Jahr kam zusammen, dass ich eine eigene Klasse als Klassenleiterin in Physik und eben diesen Wahlpflichtkurs in eigener Hand hatte und zum einen mehr Zeit für die Werbung aufbringen konnte, aber auch das Projekt enorm gezogen hat, sich für die Physik zu begeistern. Das Ergebnis ist, dass wir einen Kurs aufmachen können und das mit 6 Mädchen. Das hatten wir noch nie!!! Leider habe ich die Namensliste noch nicht einsehen können, dann wüsste ich, wie viele sich aus dem Projekt heraus beworben haben. Ob sich das dann auch auf Studiengänge oder Ausbildungsgänge auswirken wird, vermag ich heute noch nicht zu sagen. Es hat geholfen auch selbst mit Begeisterung aber auch Demut an die Sache heranzugehen, zu zeigen, dass man sich vorbereitet aber eben auch nicht alles weiß, weil einfach die Erfahrung fehlt. Ich denke, dass da auch die Frau als Rollenmodell und auch der Erwachsene, der seine Komfortzone austestet und zugibt, dass er eben auch nicht alles weiß und gelegentlich sowas, wie ,,Manschetten“ hat, ob denn das auch alles gut geht. Ich habe alle auch an den Problemen teilhaben lasse und über den aktuellen Stand der Vorbereitungen informiert. Es hat allen gezeigt, wie wissenschaftliches Lernen funktioniert und dass eben nicht alles beim ersten Mal perfekt läuft.
Gab es bei Ihrem Projekt finanzielle Zuschüsse, oder wie wurde die Mission finanziert?
Ich hatte Glück, dass der Vorstand des Fördervereins meiner Schule voll hinter dem Projekt stand und ich so in dieser Richtung keine Sorgen hatte. Beim nächsten Mal brauche ich anderweitige Unterstützung. Ich habe schon überlegt, ob man auch Postkarten mit unseren Aufnahmen aus dem All verkaufen könnte. Das wäre doch was… Das hat nicht jeder.
Können Sie sich vorstellen das Projekt mit einem anderen experimentellen Schwerpunkt erneut durchzuführen, da Sie nun auf Ihre Erfahrung zurückgreifen können? Was würden Sie bei der nächsten Mission ändern?
Beim experimentellen Schwerpunkt bin ich ein wenig an Grenzen gestoßen, denn es sollte schon etwas sein, was die doch schon etwas älteren Schüler:innen herausfordert(Ozonnachweis).
Ich würde mir für die nächste Mission den neuen Datenlogger besorgen wollen, denn dann haben wir auch noch die Messung der Strahlung mit dabei.
Welche Empfehlungen würden Sie anderen Lehrkräften mit auf den Weg geben die vor der Entscheidung stehen, ggf. eine eigene Mission in die Stratosphäre zu starten?
Wer neugierig und mutig ist: Augen zu und durch. Es lohnt sich!
Tamara Grübler
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute!
Team Stratoflights