» Interview mit Achim und Oliver Preuß –
Berufliche Schule Rottenburg «
Trotz Homeschooling in der Corona-Hochphase setzten Achim und Oliver Preuß ein vorbildliches Projekt gemeinsam mit Ihren Schüler*innen um. Gearbeitet wurde digital von Zuhause, da die Schule geschlossen war, sodass sämtliche Vorbereitungen von den Schüler-Teams in Eigenregie durchgeführt und in Videokonferenzen der Schüler*innen besprochen werden mussten. Nicht nur der eigentliche Stratosphärenflug, sondern auch ein automatisch mitführendes Teleskop sowie eine Livebildübertragung wurde von den Schüler*innen entwickelt. Wir freuen uns sehr, dass Achim und Oliver Preuß von Ihrem Projekt berichten:
Welche Fächer unterrichten Sie?
Achim Preuß: Mathematik, Physik
Oliver Preuß: Englisch, Geographie
Wie sind Sie auf dieses Projekt aufmerksam geworden?
Hab‘ (Achim Preuß) davon vor zwei Jahren in der Zeitschrift Make gelesen. Schüler haben mich zwischenzeitlich auch mal unabhängig davon (ich glaube sie hatten Infos aus Youtube) auf diese Möglichkeit angesprochen. Die Initialzündung kam mit dem Stöbern auf der Stratoflights-Homepage im April 2020 und einem anregenden Telefonat mit Herrn Dierig von Stratoflights.
Wie hat die Schulleitung beim Erstkontakt mit der Stratosphärenmission reagiert?
Für die Schulleitung war es zum richtigen Zeitpunkt ein Segen, weil das Projekt zeigte, dass auch in Corona-Zeiten ‚was geht‘. Gelder wurden mit Hilfe des Fördervereins sofort zugesagt.
Welche Probleme, Bedenken oder „Bauchschmerzen“ hatten Sie während der Projektvorbereitung?
- Wetterballon darf nur mit Baumwollhandschuhen angefasst werden, was machen wir, wenn dabei ein Windstoß kommt?
- Unser Startort direkt am Schulgebäude wurde von der Luftfahrtbehörde direkt genehmigt, aber bei Wind ist das in unserem Fall sehr schwierig umzusetzen, gleichzeitig wollten wir unbedingt von der Schule aus starten, wegen der Signalwirkung.
- Übertragung mit einem Videokonferenzprogramm- geht so was problemlos mit 300 angemeldeten Leuten?
- Werden die AHA-Regeln unter Corona unter allen Umständen eingehalten?
Wie haben Sie sich vorbereitet? Wie haben Sie die Schüler*innen auf das Projekt vorbereitet und die gesamte Projektvorbereitung strukturiert?
Per Videokonferenz wurde besprochen, was alles experimentiert werden könnte, dann haben wir Lehrer eine Auswahl von 10 Projektaufgaben getroffen. Per Mail haben sich je zwei SuS für eine Aufgabe gemeldet. Equipment wurde z. T. an die SuS versandt zum anderen Teil an der noch coronabedingt geschlossenen Schule abgeholt.
Berichten Sie uns von Ihren Experimenten: Woher kamen die Ideen?
Per Videokonferenz wurde besprochen, was alles experimentiert werden könnte. Diskutiert wurde beispielsweise auch die Idee eine kleine Geburtstagskerze oder eine Glimmschnur in einem oben offenen Glasröhrchen mitzuführen, um zu filmen, ab wann der Flamme der Sauerstoff ausgeht. Aber das haben wir dann sein gelassen, weil bei einem Ballon-Fehlstart davon eine Gefahr ausgehen könnte.
Hier unsere finale Aufgabenverteilung für je 2 SuS:
- GPS-Sender vorbereiten und betreuen
- Datenlogger vorbereiten und betreuen
- LoraWAN Live-Datenübertragung aus vielen km Höhe
- Kamera vorbereiten und betreuen
- Experiment im All: Gewicht an einer Feder
- Experiment im All: Eiweißschaum
- Experiment: Space-Eis
- Routen- und Wettervorhersage Ortung und Bergung
- Dokumentation des Vorhabens mit Bildern
- Daten Live auswerten
- Verfolgung mit dem Teleskop
Gab es bei Ihrem Projekt finanzielle Zuschüsse, oder wie wurde die Mission finanziert?
Der Förderverein der Schule hat finanziert, mittlerweile habe ich aber auch Adressen von bundesweiten Projektzuschussgebern gesammelt die ohne zu zögern den Folgestart finanzieren würden.
Wie verlief der Starttag? Hat der Flug wie geplant funktioniert?
Die Wetterprognose war zwar nicht ideal und die Gasbefüllung dauerte länger als geplant, weil unser eigener Gasflaschen-Druckminderer schwächer ausgelegt war als der empfohlene Flaschendruckminderer. Weiterhin ist der Startplatz an unserer Schule sehr eng. Der Start gelang mit 30 min Verspätung – knapp an einer Hauswand vorbei. Der Wetterballon wurde relativ schnell nach Osten weggetragen und geriet außer Sichtweite.
Hat die Verfolgung mit dem Teleskop funktioniert? Wie wurde dies umgesetzt?
Wir hatten zwei Teleskope in Betrieb eines mit Kamera, das andere mit Okular (das war an dem Tag problemlos möglich, weil der Ballon Richtung Osten flog, aber die Sonne fast im Süden stand) Beide Geräte haben wir im Vorfeld getestet.
Prinzipiell hat es funktioniert, aber der Ballon war sehr bald vor dem Hintergrund einer weißen Wolke. Dadurch waren die Konturen nicht mehr auszumachen. Bei blauem Himmel und weniger Wind müsste es gut klappen. Wir haben im Vorfeld Baumwipfel/Tannenztapfen in 2 km Entfernung gut ausmachen können. Wenn man das hochrechnet muss man den Ballon mindestens 10 km weit – wahrscheinlich noch weiter (wenn der Wind ihn nicht abtreibt) – sehen können.
Dafür hat aber eine andere neuartige Technik sehr gut funktioniert: LoRaWAN hat bis über 8 km gefunkt. Das war besonders interessant, weil sich der Fallschirm aus noch relativ großer Höhe am etwaigen Ankunftsort so schon angekündigt hatte, bevor der GPS-Tracker ein Signal senden konnte!
Welche Erkenntnisse konnten die Schüler*innen aus den Experimenten ziehen?
- Jeder ist auf jeden angewiesen ist, damit das Ganze funktioniert. Das Projekt ist so komplex, dass ein Lehrer nicht wirklich alles kontrollieren kann, was die Schüler/innen an Vorbereitung in die Strato-Sonde einbringen. Man muss vertrauen, dass jeder seinen Teil zuverlässig erfüllt. Somit wurden Lehrer und Schüler zu einem Team, das war eine tolle Erfahrung.
- Dass man mit Daten des Datenloggers die Mission auch dann lebendig rekonstruieren kann, wenn keine Fotos der Kamera zur Verfügung stehen, da unsere eigene Kamera Probleme bereitet hat.
- Dass später ein Beruf der mit Technik/Physik zu tun hat, eine spannende Sache sein kann.
Wie war das Feedback der Schüler*innen, aus dem Kollegium sowie aus den Medien?
Das Projekt kam sehr gut an, weil es zeigte, wie man auch unter Corona lehrreiche Projekte mit starkem Praxisbezug durchführen kann, obwohl die Schule geschlossen war.
Wie hilft das Stratosphärenprojekt Ihrer Meinung nach dabei, um junge Leute für naturwissenschaftliche Studiengänge zu begeistern?
- Die Durchführung ist nur im Team möglich. Die Problemstellung des Projekts ist eine echte und nicht bloß eine konstruierte Challenge!
- Die Projektbeschreibung dieses Projekts in der Smartphone-App ist beispielhaft für Best-practice Projekte in der Zukunft. Hoffentlich kommen in Zukunft mehr Projektbeschreibungen als App für andere Schulprojekte!
- Es werden vielseitige schulische Themen behandelt: natürlich Mathematik und Physik, aber auch Chemie, Meteorologie, Geographie, Astronomie, Technik, insbesondere technischer Umgang mit Gasen.
- Es können modernste Technologien zum Einsatz kommen, Datenlogger, GPS-Tracker, ganz aktuell: LoRaWAN, Kameras und Live-übertragende Drohnenkameras. Man muss als Lehrer diese Techniken nicht alle beherrschen, sondern kann darauf vertrauen, dass sich einzelne Schüler in solche Sachen ‚reinfuchsen‘ und z. T. über sich hinauswachsen.
- Es können problemlos 10 verschiedene, in etwa gleichwertige und anspruchsvolle Projektaufgaben an Zweiergruppen vergeben werden.
- Sehr spannend, weil echter offener Ausgang vorliegt: Funktioniert alles, lässt sich die Sonde wiederfinden?
- Öffentlichkeitswirksam: es ist ein Event, das die ganze Schule mitverfolgen kann. Bericht auf der Homepage, Zeitungsbericht …, usw.
Wie hat Ihnen und Ihren Schüler*innen die von Stratoflights bereitgestellten Informationen und Tools sowie das Equipment geholfen?
Die Homepage und die App waren wirklich super. Wenn noch eine Info gefehlt hat, konnte man telefonisch oder per Mail bei Stratoflights nachfragen. Alle Produkte sind ausgereift.
Gleichzeitig wird man nicht so eng geführt, dass man verführt wird, alles 1:1 nachzumachen, d. h. man muss sich die Infos schon zusammensuchen, diskutieren (z.B. welche SIM-Karte setze ich in den Tracker: E-Plus oder D1 und warum genau dieser Netzanbieter?) und ggf. auch mal bei Stratoflights.com nachfragen.
Welche Verbesserungen würden Sie sich wünschen, wenn Sie sich zurück an die Projektvorbereitung erinnern?
In der Schule hätten wir uns gerne ein Task-Force-Team von Lehrerseite gewünscht, das die Live-Übertragung per BigBlueButton (oder mit einem anderen Videokonferenz-Tool) eigenständig als Aufgabe übernimmt. Das hätte uns Entlastung bei der eigentlichen Startdurchführung gebracht.
Können Sie sich vorstellen das Projekt erneut durchzuführen? Was würden Sie bei der nächsten Mission ändern?
Ja wir möchten im Herbst starten um Bilder nachzuliefern. In unserem Fall ist nämlich unsere kleine Action-Cam aus der Schulsammlung wegen eines Wackelkontakts mit der externen Li-Stromversorgung ausgestiegen, was sehr schade war. Wir möchten auf jeden Fall dann zur Sicherheit mit zwei oder besser drei unabhängig arbeitenden Kameras starten. Ein zweiter GPS-Tracker wäre evtl. auch eine gute Investition. Als Startplatz würden wir in un serem Fall dann doch eine freie Wiese oder den Sportplatz an der Schule bevorzugen. Das mindert den Stress für unser Team sicher deutlich.
Das Gute beim zweiten Start ist, dass man das Equipment schon hat und nur den Ballon und das Helium nachkaufen muss.
Wir wussten im Voraus nicht, was so alles in eine 1600 g Sonde passt, jetzt wissen wir: es ist mehr als man denkt (unsere Sonde hatte 1000 g)!
Für einen Physikkurs ist das Projekt so vielseitig lehrreich, modern und zukunftsweisend, dass es sich für jede Klasse einmal lohnt das machen. Sprich: wir möchten es jedes Jahr einmal machen – sowieso wenn man von Lehrerseite schon alle wichtigen Handgriffe mal durchgemacht hat und weiß worauf es ankommt.
ACHIM UND OLIVER PREUSS –
BERUFLICHE SCHULE ROTTENBURG
Quelle der Bilder:
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/stratosphaerenballon-in-rottenburg-gestartet-100.html